Donnerstag, 21. August 2014

"Geht doch mal unter die Leute"

Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen.
Es ist Donnerstag Abend nach der Gamescom und ich sitze in der S-Bahn, auf dem Weg nach Hause. Das Ganze Abteil ist voller Nerds, die meisten schleppen billige Goodies mit sich rum, es gibt ein paar Cosplay und fast jeder hat ein buntes USK-Bändchen am Arm (die blöden aus Plastik).
Ich stehe an einer der Türen und genieße, mit Blick aus dem Fenster, die an mir vorbeiziehende Landschaft. Hinter mir stehen zwei Herren mittleren Alters, gelangweilt an die gegenüberliegende Tür gelehnt.
"Warum ist das eigentlich so voll, heute?" fragt der Eine unvermittelt.
"Es ist doch gerade Gamescom. Diese Videospielmesse," antwortet sein Freund.
Ersterer schüttelt verständnislos den Kopf: "Finde ich total sonderbar, sich den ganzen Tag mit Computerspielen zu beschäftigen. Geht doch mal unter die Leute."

Ich bin also auf dem Rückweg, von einem Event, das mit über 300 000 Besuchern die größte Messe in Köln ist, und muss mir anhören ich hätte kein Sozialleben.

Natürlich ist dieser Gentleman auch nur ein Opfer seiner eigenen Eindrücke und Empfindungen, deshalb sah ich davon ab mich um zudrehen und ihm meine Meinung zu sagen.
Stattdessen beschäftige ich mich nun an dieser Stelle mit den Zusammenhängen zwischen Games und sozialer Interaktion.


Es ist natürlich leicht in heutiger Zeit, Internet und Social Media mit Videospielen in Verbindung zu bringen, aber zunächst möchte ich einen gewagten Sprung zurück tun und mich von den Anfänge des Gamings aus vorarbeiten.

Und in der Tat werde ich gleich fündig.
"Tennis for two", das erste Videospiel aller Zeiten und geistiger Vorgänger von "Pong", ist ein Zwei-Spieler Titel.
Schon klar, KI ist schwer zu programmieren und damals kannte man sich noch nicht mit der Materie aus (das Ding lief auf nem Oszilloskop!!), aber dennoch finde ich es bemerkenswert, dass sich schon die ersten Gehversuche in die richtige Richtung bewegten.

Erst Jahre später werden Games populär. Man spielt in Arcade-Hallen, da Computer zu jener Zeit noch nicht für den Heimgebrauch bezahlbar waren.
Davon abgesehen, dass man hier quasi unvermeidlich andere Menschen antrifft, basieren Arcade-Games darauf einen Highscore, also eine möglichst hohe Anzahl an Punkten, zu erzielen, der wiederum mit den Leistungen von anderen Spieler verglichen wird.
Es entsteht ein Wettbewerb unter den Spielern, quasi ein Turnier, wie man es z.B. aus der Leichtathletik kennt. Das perfekte Umfeld um Rivalität und Freundschaften entstehen zu lassen.

Seit den 80er Jahren eroberten Heimcomputer und Spielkonsolen schließlich die Wohn- und Arbeitszimmer der Mittelschicht. Das erste mal seit über zwanzig Jahren wird auch alleine gezockt.
Noch ist das nerdige Hobby zu teuer, als dass jeder eine eigene Konsole besitzen kann. Sehr viel günstiger ist es da, sich mit Freunden zum gemeinsamen spielen zu verabreden, sei es im Coop oder abwechselnd. Spiele zu leihen (und zu kopieren) kommt in Mode.
Eine glorreiche Zeit.

2005, Microsoft bringt die X-Box 360 auf den Markt. Ein Jahr später zieht Sony mit der Playstation 3 nach. Zwei erschwingliche Konsolen mit tadellosem Internet-Dienst beginnen den Markt zu dominieren.
Mit den neuen Konsolen entdecken Publisher das Netz für sich; immer mehr Titel haben einen Online-Modus, immer weniger können Coop gespielt werden.
Spätestens mit MMOs und Free-to-play braucht niemand mehr aus dem Haus zu gehen, um alles zu spielen, was der Markt zu bieten hat.

Ist der Gamer von heute also vereinsamt?
Physisch gesehen, ja. Denn ich muss ehrlich sein: den größten Teil der Zeit bin ich die einzige Person in meinem Zimmer.
Niemand guckt mir über die Schulter, wenn ich mein Können zur Schau stelle und niemand ist da um mit mich für mein Versagen aus zulachen und alles besser zu wissen.
Wenn ich mit meinen Freunden spielen will schicke ich eine kurze Nachricht bei Facebook oder rufe über Skype an. Minuten später sind wir im Spiel.

Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass ich eben doch sozial interagiere.
Ja, ich telefoniere nur, oder lese nur eine Nachricht, was sicherlich eine geringere Qualität als ein Treffen hat, aber dafür viel häufiger als vorher.
Früher habe ich mich am Wochenende verabredet (ein oder zwei Tage), heute treffe ich mich jeden zweiten Tag zum spielen, chatten, diskutieren. Selbst wenn ich in League of Legends dafür geflamed werde einen Last-Hit "gestohlen" zu haben, ist das sozialer als das Lesen eines Buches.
Über Foren, Youtube und Public Games lerne ich immer wieder neue Leute aus der ganzen Welt kennen (korrigiere: der ganzen industrialisierten Welt) und tausche mich über mannigfaltige Themen aus.
Ich habe einen Blog(!) in dem ich meine Gedanken zu einem Tropfen bündeln und sie in den Ozean des Internets schleudern kann.

Ein- bis zweimal im Monat treffe ich mich persönlich mit Freunden, die nach wie vor für mich erreichbar sind, auch wenn ich sie mal ein paar Wochen nicht gesehen habe.

Und dann gibt es immer noch solche Events wie die Gamescom, wo sich so viele nette Leute aus ihrer Wohnung trauen, dass Mancher sich über Platzmangel beschwert. Alle geeint unter einem Hobby.


Gaming mag für Außenstehende sonderbar wirken, aber soviel Sozialkontakt wie hier, hatte ich in keinem anderen Hobby!

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